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Silhouetten von Kindern auf der linken Seite, rechts die Silhouette eines Mannes - Daziwschen Symbole für Geld und Formulare, die die Vaterschaftsanerkennung darstellen sollen.

Skandal um "Schein-Vaterschaften": Wie die Dortmunder Behörden reagieren

Stand: 30.04.2024, 10:56 Uhr

"Schein-Väter" mit vielen anerkannten Kindern belasten die Sozialsysteme in Millionenhöhe. Solche Fälle sind auch aus Dortmund bekannt. Jetzt zieht die Stadt Konsequenzen.

Er lebt in Nigeria, hat einen deutschen Pass und 24 Kinder anerkannt. Für sie hat er Geld bezogen und zeigt das auch in den sozialen Medien: Jonathan A. alias "Mr Cash Money". Durch den mutmaßlichen Schein-Vater könnte allein der Stadt Dortmund ein Schaden von 1,5 Millionen Euro entstanden sein.

Darüber hatte das ARD-Magazin Kontraste im Februar berichtet. Jetzt hat die Stadt Dortmund erste Konsequenzen gezogen. Der Vorgang wirft viele Fragen auf.

Was ist im Fall von "Mr Cash Money" passiert?

Eigentlich ist die Regelung zum Wohle der Kinder gedacht: Wer bereit ist, Sorge für ein Kind zu tragen, kann sich rechtlich als Vater anerkennen lassen. Unabhängig davon, ob das Kind das eigene ist oder ob man mit ihm oder der Mutter zusammenlebt.

Doch diese Regelung wird offenbar ausgenutzt: Jonathan A., der deutscher Staatsbürger und in Dortmund gemeldet ist, hat 24 Kinder anerkannt, deren Mütter aus afrikanischen Ländern stammen. Aber Jonathan A. zahlt für die Kinder nicht, für sie muss der deutsche Staat aufkommen.

Welche Kosten verursacht "Mr Cash Money"?

Weil Jonathan A. Deutscher ist, haben die anerkannten Kinder, deren Mütter und weitere Angehörige ein Bleiberecht in Deutschland. In seinem Fall sind es 94 Personen. Nach Angaben der "Sicherheitskooperation Ruhr" (SiKo Ruhr) - einem Verbund von Behörden im Ruhrgebiet - werden allein durch diesen Mann jährlich mehr als 1,5 Millionen Euro Kosten für die Sozialkassen verursacht.

Herbert Reul (CDU) präsentiert bei der Vorstellung der "Sicherheitskooperation Ruhr zur Bekämpfung der Clankriminalität" das Schild der Dienststelle in Essen (10.12.2019).

Die SiKo ist ein Projekt der NRW-Landesregierung

Polizeiliche Ermittlungen ergaben zudem, dass Jonathan A. in einem Monat staatliche Leistungen in Höhe von über 22.500 Euro durch die zuständige Familienkasse erhielt. Wie viel er insgesamt aus staatlichen Kassen erhielt, konnte die "SiKo Ruhr" bislang nicht ermitteln – aus Datenschutzgründen. Die "Sicherheitskooperation Ruhr" ist ein Projekt der NRW-Landesregierung, an dem auch Innenminister Herbert Reul (CDU) beteiligt ist.

Wie reagiert die Stadt Dortmund darauf?

Thomas Westphal (SPD), Oberbürgermeister von Dortmund (16.04.2021)

OB Thomas Westphal lässt Anzahl ermitteln

Jonathan A. ist nach Kontraste-Recherchen nicht der einzige Fall in Dortmund. Zur Frage, wie viele Fälle es insgesamt gibt, konnte die Stadt am Donnerstag gegenüber dem WDR noch keine Angaben machen. Die Anzahl werde derzeit auf Anweisung von Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) vom Rechnungsprüfungsamt ermittelt.

"Die entsprechenden Verfahren werden nun noch einmal überprüft", sagte eine Pressesprecherin der Stadt dem WDR. "So lange sind Vaterschaftsbeurkundungen, bei denen auch ausländerrechtliche Belange berührt sind, ausgesetzt."

Betroffen von dieser Regelung sind also nicht alle Vaterschaftsbeurkundungen, die in Dortmund beantragt werden. Es geht nach Angaben der Stadt nur um Fälle nach Paragraf 1597a BGB (2). In diesem Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuches wird das "Verbot der missbräuchlichen Anerkennung der Vaterschaft" von Fällen geregelt, die im Zusammenhang mit dem Ausländerrecht stehen.

Wie viele solcher Fälle gibt es in Deutschland?

Dazu gibt es keine genauen Zahlen. Fachleute gehen von zehntausenden Fällen in den vergangenen Jahren aus. Die Datenlage ist dünn: Den Ausländerbehörden werden nur konkrete Verdachtsfälle der beurkundenden Stellen gemeldet, also von Standesämtern, Jugendämtern und Konsularbeamten in den Botschaften.

Antrag auf Kindergeld - Vordruck der Familienkasse

Hohe Belastung der Sozialkassen

Das Bundesinnenministerium bezifferte 2017 "die Anzahl der Missbrauchsfälle auf eine mittlere vierstellige Zahl", wie aus einer internen Auswertung der "Sicherheitskooperation Ruhr" hervor geht, die dem ARD-Magazin Kontraste vorliegt. Darin wird die "jährliche bundesweite Belastung des Steuerzahlers" auf mehr als 150 Millionen Euro beziffert. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Warum ist das möglich?

Durch eine Lücke im Gesetz. Der Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung ist nicht strafbar. Wenn einmal eine Beurkundung stattgefunden hat, bleibt sie in jedem Fall wirksam. Ist ein Kind erst mal von einem deutschen Vater anerkannt, lässt sich diese nicht mehr aufheben.

Es ist auch schwierig, präventiv gegen einen möglichen Missbrauch vorzugehen. Denn in Deutschland gibt es aus Datenschutzgründen kein zentrales Personenstandsregister. Standesämter, Jugendämter und Konsularbeamte können deshalb vor einer Vaterschaftsanerkennung nicht einsehen, wie viele Kinder ein Antragsteller bereits anerkannt hat. Das können nur die Ausländerbehörden. Zudem werden die meisten Vaterschaften durch Notare beurkundet.

Was wird dagegen unternommen?

Bereits im vergangenen Jahr sollte die Bundesregierung auf Bitte der Innenminister der Länder einen Gesetzentwurf zur Anpassung des geltenden Rechts zur Vaterschaftsanerkennung vorlegen. Seit Jahren drängen sie zusammen mit den Justizministern der Länder darauf, den Missbrauch vorsorglich zu verhindern.

Nun wollen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Vaterschaftsanerkennungen neu regeln. Dem ARD-Hauptstadtstudio liegt ein entsprechender Gesetzentwurf der beiden Ministerien vor.

Demnach sollen künftig vor der Beurkundung einer Vaterschaft eine weitere Prüfung stattfinden: Wenn die Mutter des zu adoptierenden Kindes nur ein schwaches oder gar kein Aufenthaltsrecht hat, darf das Standesamt die Eintragung nur vornehmen, wenn vorher eine Zustimmung der Ausländerbehörde eingeholt wird. 

Der Entwurf muss noch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden. Noch vor der Sommerpause soll ein abgestimmter Entwurf vorliegen.

Unsere Quellen:

  • ARD-Magazin Kontraste
  • tagesschau.de
  • Stadt Dortmund
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)